Smiley-Ball in einer Hand
In Krisenzeiten ist es besonders wichtig, einen Ausgleich zu finden.

In den letzten Wochen gewöhnen wir uns an einen neuen Alltag. Das öffentliche Leben steht oder stand draußen still. Für viele ist das eine Herausforderung, die sowohl körperliche als auch geistige Folgen haben. Über Krisenbewältigung, Stress, Ängste, Lösungen und die Zeit nach der Krise hat Medicom mit der Psychiaterin und Psychotherapeutin Frau Dr. med Haisch gesprochen.*

* Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde im März 2020 während der Coronakrise geführt, als die Covid-Maßnahmen je nach Bundesländern umgesetzt wurden.

portraitbild sarie haisch
Dr. med Sarie Ann Haisch, Psychiaterin und Psychotherapeutin im Experten-Interview mit Medicom

Medicom: Was macht diese Zeit aus psychologischer und psychosomatischer Sicht Ihrer Meinung nach derzeit mit uns allen? Welche unterschiedlichen Verhaltensstrategien erleben wir gerade bei den Menschen? Gehen Frauen damit anders um als Männer?

Haisch: Die aktuelle gesundheitspolitische Krise geht für jeden Einzelnen zum einen mit einem hohen Maß an persönlicher Unsicherheit sowie Ängsten einher, aber natürlich auch mit drastischen Einschränkungen der individuellen Freiheit. Jeder macht sich in diesen Zeiten um sich und seine Angehörigen Sorgen und hofft, dass alle unbeschadet über die Krise hinwegkommen. Oft jedoch noch gravierender für die Psyche ist das Gefühl, keine eigene Kontrolle mehr über die Situation zu haben, also „ausgeliefert“ zu sein, nicht zu wissen was als nächstes passiert. Es entsteht ein Gefühl des Kontrollverlusts, eine Hilflosigkeit, und aus dieser erwächst typischerweise Angst, Depressivität oder sogar Panik. Diese wird zudem durch die teilweise sehr angstregende Berichterstattung insbesondere in den sozialen Medien nochmals verstärkt. Natürlich sind die Einschränkungen im alltäglichen Leben ebenso belastend, die stützenden Sozialkontakte fallen weg, Hobbys und sportliche Aktivitäten können nicht mehr wie gewohnt ausgeführt werden, die an sich aber zum Stressabbau wichtig wären.

Es entsteht ein Gefühl des Kontrollverlusts, eine Hilflosigkeit, und aus dieser erwächst typischerweise Angst, Depressivität oder sogar Panik.

All dies kann den individuellen „Stresspegel“ deutlich erhöhen, als Folge sind neben den körperlichen und seelischen Symptomen zum Beispiel auch gehäufte innerfamiliäre Konflikte und eine hieraus resultierende Unzufriedenheit. Hier gibt es tatsächlich typischerweise Unterschiede in der psychischen Verarbeitung und den hieraus resultierenden Verhaltensmustern zwischen Männern und Frauen. Frauen reagieren häufiger mit Rückzug, verstärkter Depressivität und Angst. Männer neigen eher dazu, verstärkt gereizt oder sogar aggressiv zu reagieren. Der Versuch einer Bewältigung über einen verstärkten Suchtmittelkonsum ist bei Männern auch typischerweise häufiger. Somit sind natürlich Menschen mit psychischer Vorbelastung im Bereich der Angst oder Depression aktuell besonders gefährdet, jedoch bemerken auch ansonsten sehr „stabile“ Personen in diesen Zeiten eine deutliche Belastung.

Medicom: Was macht Stress denn genau mit unserem Körper?

Haisch: Wir müssen zunächst zwischen der akuten und der chronischen Stressreaktion unterscheiden. Die akute Stressreaktion des Körpers ist durchaus sehr sinnvoll und sicherte das Überleben unserer Vorfahren. So wird zum Beispiel in Gefahrensituationen das autonome/vegetative Nervensystem innerhalb kürzester Zeit so aktiviert, dass wir mit einer „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“ handeln können und somit adäquat reagieren können. Es kommt im Speziellen durch die plötzliche Erhöhung des Adrenalins (akutes Stresshormon) dazu, dass der Körper vermehrte Energiereserven zur Verfügung gestellt bekommt, wir also wacher und leistungsfähiger sind. Sobald die „Gefahr“ vorüber ist, sinkt der Adrenalinspiegel wieder und der Körper kann wieder in den „Normalzustand“ zurückversetzt werden. 

Die aktuelle Situation mit anhaltenden gesundheitlichen sowie oft auch wirtschaftlichen Sorgen fällt leider unter den Bereich der chronischen Stressreaktion.

Kommt es nun jedoch durch eine länger anhaltende Belastung mit einem sogenannten „Stressor“ (zum Beispiel) anhaltende berufliche oder private Konflikte, gesundheitliche Sorgen etc. zu einer chronischen Stressreaktion, so wendet sich das Blatt und die an sich sinnvolle Reaktion des Körpers kann zum Gefahrenpunkt werden. Die aktuelle Situation mit anhaltenden gesundheitlichen sowie oft auch wirtschaftlichen Sorgen fällt leider unter den Bereich der chronischen Stressreaktion. Diese kann durch einen langanhaltend erhöhten Cortisolspiegel im Körper zu emotionalen, kognitiven und körperlichen Symptomen und Veränderungen führen. 

Medicom: Und was könnten die daraus resultierenden, gesundheitlichen Folgen sein?

Haisch: Auf der emotionalen Ebene können sich die bereits oben angesprochenen Veränderungen der Stimmung ergeben, man ist vermehrt niedergeschlagen, erschöpft, ausgelaugt und reizbar, alles wird plötzlich „zu viel“. Sehr typisch ist leider auch, dass man das Interesse an den an sich positiven Dingen wie Hobbies oder Sozialkontakten verliert und sich immer mehr zurückzieht, immer mehr grübelt oder Zukunftssorgen hat. Auf der kognitiv-mentalen Ebene können sich zum Beispiel Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme einstellen, man vergisst schneller, kann sich zum Beispiel gelesene Texte nicht mehr merken, die alltäglichen Dinge werden „mühsam“. Typisch ist auch das Gefühl des „neben sich Stehens“ oder ein gefühlter „Tunnelblick“, insbesondere auf Problemthemen.

Die Infektanfälligkeit nimmt typischerweise im chronischen Stresszustand zu, man ist also häufiger krank und regeneriert schlechter

Auf der körperlichen Ebene ergeben sich häufig die am deutlichsten spürbaren Symptome, zum Beispiel auch hier eine erhöhte Erschöpfung, ständige Müdigkeit und eingeschränkte Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig bestehenden Schlafstörungen und innerer Unruhe, Zähneknirschen, Kopf- und Rückenschmerzen.

Die Infektanfälligkeit nimmt typischerweise im chronischen Stresszustand zu, man ist also häufiger krank und regeneriert schlechter. Ebenfalls häufig sind Veränderungen des Blutdruckes, meistens eine Erhöhung ohne somatische Ursache, Herzrasen und Atembeschwerden, Druckgefühle auf der Brust, Schwindel, Ohrgeräusche und Tinnitus, Verdauungsprobleme, Zittern oder ständiges „Kribbeln“ auf der Haut, verstärkte Hautbeschwerden etc.

Natürlich können die meisten dieser Symptome auch eine rein körperliche Ursache haben, diese sollte unbedingt immer zuerst abgeklärt werden bevor man die Diagnose eines chronischen Stresszustandes stellt. Insgesamt lässt sich das Bild passend mit dem Begriff des „leeren Akkus“ beschreiben, der einfach nicht mehr so recht aufladen will. 

Medicom: Ist es aus Ihrer Sicht möglich, dass auch durch die psychosomatische Belastung mehr Menschen mit entsprechenden Vorerkrankungen medizinisch versorgt werden müssen? Kann zum Beispiel ein Asthmatiker oder Herzkranker alleine durch Angst vor einer Erkrankung wie dem neuartigen Corona-Virus einen Anfall erleiden? Oder ist das zu weit hergeholt? 

Haisch: Das ist durchaus gut möglich. Wir müssen uns hierzu nur vor Augen führen, was im Körper zum Beispiel während einer Panikattacke, also einem Zustand ausgeprägter Ängste, passiert. Dies bedeutet für den Körper einen maximalen Stresszustand, es kommt also zu den oben genannten Symptomen, zum Beispiel Brustenge, verstärkte Atembeschwerden etc., und dies auch bei an sich gesunden Menschen. Werden diese nun durch den Betroffenen aufgrund seiner Vorerfahrungen und der aktuellen Fokuslenkung auch noch „katastrophisierend“ bewertet (also jedes Körpersymptom wird gedanklich sofort in ein „worst-case-Szenario“ eingeordnet), dann verstärkt sich hierdurch natürlich die Angst und in Folge auch die Körperreaktion, es kommt zu einem sogenannten „Teufelskreis der Angst“. Und in dieser Hilflosigkeit und Panik wenden sich natürlich viele Menschen an das medizinische Versorgungssystem, ohne dass ein echter körperlicher Notfall besteht. Und diese Fälle kommen in der aktuellen Zeit auf jeden Fall nochmal häufiger vor als im „Normalzustand“. 

Medicom: Gibt es etwas allgemeingültiges, dass jetzt jeder für sich beherzigen und tun kann, um diese Zeit besser durchzustehen bzw. gibt es etwas, dass man jetzt besser nicht tun sollte, obwohl man vielleicht fälschlicherweise glaubt, dass es hilft? 

Haisch: Von sehr großer Relevanz ist es, ein gewisses Kontrollgefühl entstehen zu lassen und die Selbstwirksamkeit zu stärken. Das heißt zum einen, dass die „Informationsflut“ eingeschränkt werden sollte, also zum Beispiel nur morgens und abends einmal durch vertrauensvolle und seriöse Quellen (zum Beispiel RKI, WHO) der neueste Stand abgefragt werden sollte, aber in den Zwischenzeiten dann auch insbesondere die sozialen Netzwerke „ruhen“ sollten, um einer ständigen negativen „Reizüberflutung“ zu entgehen.

Des Weiteren ist es sehr wichtig, den eigenen Fokus mehr auf die – trotz der schwierigen Zeiten – kontrollierbaren Bereiche zu wenden, zum Beispiel „wie kann ich heute mit meiner Familie den Tag gestalten“, „wie kann ich die Zeit für mich sinnvoll nutzen“. Es sollte wieder das Gefühl der „Selbstwirksamkeit“ entstehen, also das Gefühl selbst gestalten zu können und nicht nur hilflos abwarten zu müssen („Aktives Coping“). Hierzu zählt ganz konkret auch, sich auf den verschiedenen Ebenen des „Bio-psycho-sozialen“ Ressourcen Modells zu stärken. Also „was kann ich meinem Körper jetzt Gutes tun“ (biologische Ebene), zum Beispiel das Achten auf gesunde Ernährung, Bewegung soweit möglich, Entspannung etc.

Des Weiteren sollte die „soziale“ Ebene betrachtet werden „Wie kann ich meine sozialen Kontakte in dieser Zeit pflegen“, wie kann ich die Zeit mit der Familie nutzen, welches Gespräch wollte ich schon lange mit einem Freund oder Partner führen, was kann ich mit meiner Familie für die Zeit „nach der Krise“ planen“? Und zu guter Letzt ist es natürlich sehr wichtig, die psychische Ebene zu stärken, dies auch durch konkrete Maßnahmen „was tut mir psychisch gut“, welches Buch wollte ich schon immer lesen, welche Musik tut mir gut, welche Menschen können mir in dieser Situation helfen? Auch hier ist es wichtig, eine gewisse „innere Sinnhaftigkeit“ der Situation zu entwickeln, zum Beispiel durch die neue Priorisierung auf die Familie, die Stärkung des Zusammenhaltes oder aber durch Hilfsangebote an die Nachbarn.

Und der Fokus sollte hier unbedingt auf den positiv erlebten Dingen liegen, dass heißt konkret auch, dass man sich vorübergehend von Dingen oder Menschen fernhalten sollte, die die Angst noch verstärken. Wir dürfen nämlich bei allem nicht vergessen, dass Angst und die damit verbundene Stressreaktion im Körper das Immunsystem weiter schwächt, was in diesen Zeiten sicher am wenigsten sinnvoll ist. Beschäftigen Sie sich mit zukünftigen Perspektiven, Planungen und Zielen, die ihnen helfen, die aktuelle „Durststrecke“ psychisch zu überwinden. Das heißt zum Beispiel auch, sich neben allen negativen Einflüssen zu „erlauben“ sich zeitweise auch unbeschwerten Bereichen im Leben zuzuwenden, also beispielsweise einen lustigen Film zu sehen, um gezielt den Fokus auch wieder auf diese Bereiche zu lenken. 

Medicom: Wenn ich merke, dass ich mit der Situation überfordert bin und Ängste entstehen, was kann ich dann tun? Gibt es Entspannungsübungen/ Therapien/ pflanzliche Mittel, die hilfreich sein können? Wann muss ich mir ärztliche Hilfe holen?

Haisch: Als erstes ist es sehr wichtig, ein gewisses „Ventil“ für die Ängste zu finden, also im besten Fall darüber zu sprechen. Alles was unausgesprochen im Unterbewusstsein „umhergeistert“ wird meist „größer“ und bedrohlicher. Also ist es wichtig, hier den Kontakt mit Angehörigen oder Freunden zu suchen, und zwar am besten natürlich zu denjenigen, die besonnen und weniger ängstlich reagieren.

Eine weitere Möglichkeit einer Ventilfunktion besteht auch darin, die Ängste aufs Papier zu bringen und diese nochmal kritisch zu hinterfragen, oft bringt auch dies bereits eine bessere Distanz. Auch hier ist es hilfreich, sich immer wieder auch die eigenen Ressourcen und Resilienzfaktoren (siehe oben) vor Augen zu führen und diese gezielt zu stärken. Selbstverständlich können hier auch regenerative Maßnahmen wie Yoga, die progressive Muskelentspannung, autogenes Training, Meditation oder aber einfach ein schönes Bad mit beruhigender Musik hilfreich sein. 

Natürlich kann man sich auch durch pflanzliche, beruhigende Präparate Unterstützung holen. Hier sehe ich aber eine fachkundige Beratung für sinnvoll an, da auch hier nicht jeder Wirkstoff zu jeder Person passt und ein individuelles Vorgehen sinnvoll ist. Sollten sich die Symptome wirklich in den klinisch pathologischen Bereich steigern oder eine diesbezügliche Vorerkrankung bestehen, kann es teilweise auch sinnvoll sein, vorübergehend die psychopharmakologische Medikation anzupassen, dies natürlich nur unter fachärztlicher Anleitung. Diesbezüglich würde ich aber unbedingt vom Griff zu Präparaten vermeiden, welche ein Abhängigkeitspotential haben, da diese längerfristig die Ängste nur noch verstärken und auch sonst schädliche Folgen haben.

Zudem rate ich natürlich von jeglicher „Selbstmedikation“ durch Suchtstoffe wie Alkohol, Nikotin oder Cannabis ab, da auch diese, wenn dann nur kurzfristige „Erleichterung“ bringen, die schädlichen Folgen aber auch hier klar überwiegen. 

Wichtig finde ich, dass wenn Sie die oben genannten Symptome einer chronischen Stressbelastung an sich bemerken, möglichst frühzeitig fachliche Hilfe aufgesucht wird, damit sich diese nicht weiter chronifizieren und hierdurch immer schlechter behandelbar werden.

Medicom: Wie erkläre ich das eigentlich alles Kindern, haben Sie da einen Rat? 

Haisch: Für Kinder ist die Vorbildfunktion der Eltern essentiell wichtig, sie orientieren sich maßgeblich an den Reaktionen der Eltern und sind somit in ihrem psychischen Erleben stark beeinflussbar. Wenn die Eltern mit Hilflosigkeit und Angst reagieren, wird sich dies auf die Kinder ebenso niederschlagen, reagieren die Eltern ruhig und besonnen, wird dies auch zu weniger Angstentwicklung bei den Kindern führen.

Es ist insbesondere bei älteren Kindern oder Jugendlichen durchaus sinnvoll auch den Ernst der Lage klar zu kommunizieren, es hilft hier wenig das Bild einer „heilen Welt“ aufrecht erhalten zu wollen, die es  nun mal gerade leider nicht gibt, dies würden die Kinder früher oder später sowieso als inkongruente Information durchschauen. Dennoch ist es hier natürlich sehr wichtig, den Kindern nur die sinndienlichen Informationen zukommen zu lassen und sie auch vor der Flut der angsterzeugenden Nachrichten insbesondere in den sozialen Netzwerken zu schützen.

Es ist hier sicher sinnvoll, einmal am Tag die wichtigsten neuen Informationen zu kommunizieren (zum Beispiel wie lange voraussichtlich die Schulen geschlossen bleiben etc.) und dann den Rest des Tages für andere Themen und Inhalte zu nutzen. 

Für Kinder ist der familiäre Zusammenhalt natürlich in solchen Zeiten besonders wichtig, das gemeinsame aktive Gestalten der Zeit und die gegenseitige Unterstützung bekommen in Krisenzeiten eine noch größere Bedeutung. Und auch hier ist das vorausschauende Planen und das Erarbeiten von Zukunftsperspektiven für die Zeit nach der Krise nötig und hilfreich, da natürlich für die Kinder die Einschränkung der Sozialkontakte und Freizeitaktivitäten auch sehr schmerzlich sein kann.

Medicom: Durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit gibt es sicher auch mehr Konfliktpotential in Partnerschaften, wie beurteilen Sie das, was könnte da helfen? Nicht jeder hat ja ein Haus und einen Garten zur Verfügung.

Das ist sehr richtig. Aufgrund der bereits oben erwähnten Gegebenheiten kommt es in diesen Wochen zu deutlich vermehrten Paarkonflikten. Hier ist es unbedingt nötig, dass jeder der Partner sich gewisse Freiräume erhält, also, dass jeder bildlich gesprochen „den eigenen Weg“ gehen darf und man sich dann regelmäßig und gezielt „wieder trifft“. Das heißt konkret, dass jeder dem anderen die Zeiten der Beschäftigung mit eigenen Ressourcen lassen sollte ohne Vorwurf oder „Einmischung“ und man sich dann jeden Tag Fixpunkte setzt, die man gemeinsam als Paar oder als Familie gestaltet, zum Beispiel das gemeinsame Abendessen und der anschließende Spieleabend. Das ist natürlich je nach räumlichen Gegebenheiten sehr schwer aktuell, aber unbedingt nötig, sich an einigen Zeiten des Tages den Freiraum und das „alleine für sich sein“ zu ermöglichen, um dann auch die gemeinsame Zeit wieder mehr genießen zu können. Auch hier gilt natürlich wie bereits oben gesagt, dass mögliche Ängste, Unzufriedenheit oder Bedürfnisse möglichst früh ausgesprochen werden sollten, bevor sich diese zu sehr aufstauen und sich dann im Streit „entladen“. Ebenso hilfreich ist es, für die „Zeit danach“ ruhig an gemeinsamen Zielen und Wünschen zu arbeiten, zum Beispiel einem gemeinsamen Urlaub. Gemeinsame Zukunftsperspektiven sind insbesondere in dieser Zeit sehr wichtig. 

Medicom: Wir haben jetzt eine gesundheitliche Krise, aber was kommt danach, mit welchen Belastungen für unser Seelenleben müssen wir dann rechnen? Beispiel: Existenzängste! Gibt es bei aller Ungewissheit eine Möglichkeit, sich darauf mental vorzubereiten bzw. besser mit diesen Zukunftsängsten und existenziellen Sorgen umzugehen? 

Haisch: Das ist ein sehr großes und meines Erachtens aktuell noch völlig unabsehbares Thema, was natürlich für viele Menschen ganz reelle Ängste und Nöte hervorruft, die man sicher auch nicht „weg reden“ kann. Hilfreich ist es dennoch, gerade bei Zukunftsängsten möglichst viele Informationen einzuholen, also zum Beispiel „Was gibt es für Hilfspakete?“, „Wann und wie kann ich diese beantragen?“, „Gibt es gegebenenfalls weitere, neue Möglichkeiten meine Einnahmen zu erhalten?“, „Wie kann ich in dieser Zeit Vorbereitungen für die Phase danach treffen?“ (z.B. „wie kann ich mit meinen Kunden dennoch im Kontakt bleiben“). Natürlich ist es hierbei ebenfalls unbedingt nötig, sich der Familie mit den bestehenden Ängsten zu öffnen und gemeinsam über mögliche Lösungsansätze nachzudenken.

Der Versuch, als Einzelkämpfer durch diese Zeit zu gehen, ist zum Scheitern verurteilt.

Der Versuch, als Einzelkämpfer durch diese Zeit zu gehen, ist zum Scheitern verurteilt. Auch hier ist es sehr ratsam, sich zum Beispiel mit Kollegen und ebenfalls Betroffenen auszutauschen und gegebenenfalls gemeinsame Konzepte zu erarbeiten. Es ist hier sicher viel Kreativität und Optimismus erforderlich, umso wichtiger ist es, Ressourcen zu bündeln, zusammenzustehen und sich gegenseitig zu unterstützen. Je mehr Sie es auch hier schaffen, nicht nur passiv „abzuwarten“, sondern aktiv zu gestalten, umso weniger bedrohlich erscheinen die Zukunftsängste. 

Vielen Dank für das Gespräch. Das waren wertvolle Ratschläge! 

Zur Person:
Frau Dr. med. Sarie Ann Haisch ist niedergelassene Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Areion Kompetenzzentrum in Neu-Ulm mit dem Schwerpunkt der Behandlung von stressassoziierten Erkrankungen. Zuvor arbeitete sie in diversen stationären Einrichtungen, z.B. der Universitätsklinik Ulm, dem Sanatorium Kilchberg in der Schweiz sowie im Zentrum für Psychiatrie in Ravensburg. Zudem absolvierte sie am CIP München eine Ausbildung zum Business Coach. Neben ihrer therapeutischen Tätigkeit bietet sie Seminare und Workshops für Unternehmen an. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören Burnout-Prävention, gesunde Mitarbeiterführung sowie Stärkung der Resilienz. 

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