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In Krisenzeiten ist es auch wichtig, auf eine ausgewogene Ernährung zu achten, um die Verdauung nicht zusätzlich zu belasten.

Stressauslöser, Angstzustände und Traumaverarbeitung, wie geht man damit um und welche Ressourcen stehen uns zur Verfügung? Das sind die großen Fragen unserer Zeit. Medicom sprach im Interview mit dem renommierten amerikanischen Psychologen Dr. Scott Lyons zu diesen Themen.

Dr. Scott Lyons ist klinischer Psychologe.

Medicom: Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Stressauslöser und herausfordernde Situationen. Warum ist das so?

Lyons: Stress ist ein ganz individuelles Element unseres eigenen Wesens. Es gibt keinen universellen Stress, der für uns alle gleich definiert ist. Es gibt externe Stressauslöser, auf die wir auf ganz bestimmte Weise reagieren. Diese Antwort auf einen externen Reiz nennen wir Stress (response) bzw. – reaktion. Das Timing, der Ursprung und die Erwünschbarkeit bestimmen, wie wir auf diesen Reiz reagieren. Die Stressantwort dient dazu, dass unser Körper auf Aktion vorbereitet wird. Und das Maß der Reaktion, wie es in unserer Wahrnehmung gefordert ist, ist sehr individuell. Es hängt von der Haltung Einzelner zu dieser Vorbereitungsreaktion ab. Wenn man Hitze aufsteigen, oder eine Kontraktion im Körper spürt, ist das schlichtweg ein Teil der Stressreaktion, die lediglich dazu beiträgt, dass man bereit ist zu reagieren. Wir alle haben unterschiedliche Haltungen dazu, was diese vorbereitende Reaktion bedeutet. 

Es gibt keinen universellen Stress, der für uns gleich definiert ist.

Medicom: Die Stressreaktion an sich ist also nichts Negatives, da wir Menschen sie brauchen, um überleben zu können. Geht es also lediglich um unsere individuelle Interpretation?

Lyons: Es ist nicht nur die Interpretation eines Reizes, die unsere Reaktion beeinflusst, sondern es gibt auch die Interpretation unserer Reaktion. Und hier geht es darum, ob wir die Fähigkeit besitzen, diese vorbereitende Energie der Reaktion in eine Aktivität umzusetzen. Das nennt man Mobilisierung. Sollten wir nicht in der Lage sein, diesen Stimulus über eine Aktion zu mobilisieren, weil wir wie gelähmt sind oder nicht entsprechend unserer Bedürfnisse reagieren können, führt es zu einem gesundheitlichen Problem. 

Stressbezogene Krankheiten resultieren aus einer Unterdrückung dieses biologischen Anpassungssystems. Dem obengenannten Aktivierungsprozess, der unseren Körper darauf vorbereitet etwas zu tun, folgt also die Mobilisierung. Diese Mobilisierung macht es uns möglich, uns an das anzupassen, was die gegenwärtige Situation erfordert. Und wenn wir diese Anpassung nicht aktivieren können, kommt es zu Krankheitsreaktionen, bzw. psychischen Belastungssituationen.

Medicom: Es ist also erforderlich zu erkennen, dass wir nicht mobilisieren können. Wie kann man sich hier befreien?

Lyons: Der Punkt ist zu erkennen, dass man eine Reaktion hat. Also, wenn man Aufregung spürt, Hitze aufsteigt, manchmal verspürt man Übelkeit oder die Muskeln spannen sich an. Was wir dann tun können, ist dies als reine Energie zu sehen. Eine freie Energie, die einen Kanal sucht, durch die sie sich durchbewegen kann. Und dieser Kanal ist unser Körper in Aktion. Das können ganz einfache Bewegungen sein, Laufen, oder in ein Kissen boxen, oder eine Kissenschlacht zu machen. Etwas, das die Energie in uns durch Bewegung freisetzt. Das kann man sich so vorstellen, wie wenn man bei einem stehenden, mit Treibstoff gefüllten Fahrzeug den Motor hochtreibt, ohne das Auto in Bewegung zu setzen. Irgendwann geht es dann kaputt. Bei uns ist das genauso. Wenn die Energie in uns hochfährt und wir sie nicht mobilisieren können, führt es zu Krankheitszuständen.

Medicom: Ist es tatsächlich so einfach? Wenn wir nicht in diesem gelähmten zusammengezogenen Zustand verweilen? Wenn wir uns nicht nur auf die Aufregung in uns konzentrieren, sondern uns in Bewegung setzen, das Problem lösen können?

Lyons: Nun, zumindest hat sich die Energie gelöst. Das ist natürlich nicht der gesamte sogenannte biologische Anpassungszyklus, aber zumindest der erste Teil. Die Mobilisierung der Energie, denn das auf der Bremse stehen in diesem Moment, ist das, was die Probleme verursacht. Der Vergleich mit dem Auto hart auf die Bremse zu steigen, ist ein einfaches aber anschauliches Beispiel, das ich gerne verwende. 

Der nächste Schritt nach der Mobilisierung ist Innehalten. Ich halte inne, um die Mobilisierung zu erkennen, was ist neu, was ist passiert? Man kann das mit einem Computer-Update vergleichen, auch da braucht man ein wenig Zeit, um zu verstehen, was neu ist. Und genauso ist das auch mit unserem Körper, wir müssen unser System entsprechend der Aktivierung updaten. Also die Veränderung integrieren. 

Genau das ist Teil der Deaktivierung dieser ersten Energie, die wir in unserem Körper verspürt haben. Die bereitet uns darauf vor, aktiv zu werden und uns anzupassen. Es geht als nächstes also um die Deaktivierung dieser Energie, was uns erlaubt, Reserven aufzubauen. Das nennen wir Regeneration, die wir wieder für unseren nächsten Adaptions- oder Anpassungszyklus benötigen. 

Es kann sich natürlich negativ anfühlen, eine Stressreaktion zu haben. Dennoch ist sie Teil eines ganzen Prozesses, nämlich jenem, sich an das Leben anzupassen, in dem wir aufblühen können. Die Unfähigkeit sich anpassen zu können, führt zu Krankheit. Das passiert dann, wenn der Stimulus größer ist als wir mobilisieren oder aufbrechen können. Das passiert, wenn wir vor großen Herausforderungen stehen, oder es sich um sehr intensive Belastungen handelt. Dann können wir das nicht mehr so verarbeiten. Dann fühlen wir uns, durch die Unfähigkeit uns anpassen zu können, überfordert. Auf Dauer entwickeln sich dann kognitive Probleme, Probleme der Energieregulierung und eben auch negative körperliche Auswirkungen. 

Medicom: Wir befinden uns alle derzeit in einem sehr anstrengenden Ausnahmezustand und haben nicht die gleichen Ressourcen wie sonst, um uns Hilfe zu holen. Wie können wir uns selbst am besten durch diese herausfordernde Zeit bringen?

Was man nun machen kann, ist sich über soziale Plattform-Tools auszutauschen und aufgestaute Energie freizusetzen.

Lyons: Es gibt einige fundamentale Unterstützungsmechanismen und Ressourcen, die wir hier anwenden können. Eines davon ist zu erkennen, dass viele Menschen sich in der genau gleichen Situation befinden. Wir haben nun nicht unbedingt die Möglichkeit der sogenannten Co-Regulation. Das heißt, dass ein Mensch, der gut und stabil aufgestellt ist, einen anderen unterstützen kann, der sich in einer schwierigen Situation befindet. Im Augenblick ist es so, dass es weniger Menschen gibt, die diese Co-Regulierung anbieten können, denn wir befinden uns in einer Situation, die man kollektiven Stress nennt.

Was man nun machen kann, ist sich über soziale Plattform-Tools, wie Zoom oder Skype auszutauschen und gemeinsam, die aufgestaute Energie freizusetzen. Zum Beispiel über gemeinsames Singen oder Meditieren. So dass wir die Menschen in einem kollektiven Prozess der Aktivierung und Mobilisierung sehen können. Hier entsteht ein Prozess der Co-Regulierung aus dem Heilungsprozess eines jeden Einzelnen. Auch ist es wichtig, dass man zum Beispiel nach einer Online-Yoga-Klasse kurz pausiert, um zu sehen was freigesetzt worden ist und dem nachzuspüren. Ein weiterer Punkt ist über die modernen Technologien so verbunden wie möglich zu bleiben. Es ist auch bei Weitem nicht immer notwendig über das zu sprechen, was gerade passiert. Man kann Spiele spielen und über andere Dinge sprechen, und das heißt nicht, dass wir das, was passiert ignorieren oder vernachlässigen.

Es gibt jedoch eine maximale Menge an Informationen pro Tag, die wir tolerieren und verdauen können. Es ist durchaus empfehlenswert sich da einmal zurückzuziehen und keine Nachrichten zu schauen und stattdessen mit Freunden über Zoom eine Tanzparty zu veranstalten. Man kann auch morgen wieder darüber sprechen, was derzeit passiert.

Es ist durchaus empfehlenswert sich da einmal zurückzuziehen und keine Nachrichten zu schauen.

Medicom: Ein weiterer wichtiger Punkt ist vermutlich auch die Ernährung und der Lebensstil? 

Lyons: Im Moment ist es sicher kein guter Zeitpunkt sich stark zuckerhaltig oder sich von Dingen, die zu einer physiologischen Störung führen, zu ernähren. Die meisten von uns sind wohl schon über die Spitze unserer Energieregulierung hinaus versorgt. Ich meine hier die biologische Energieversorgung durch ATP (Adenosintriphosphat) Energieüberträger. In unserer Homeostase der Energieregulierung, unserem optimalen PH-Wert im Blut, im Glukosespiegel gibt es eben ein Fenster, in dem wir optimal funktionieren können.

Wenn wir Stressfaktoren nicht verdauen und verarbeiten können, fallen wir aus diesem optimalen Fenster hinaus und unser Energiehaushalt wird gestört. Also, Alkohol, stark zuckerhaltige Lebensmittel, Lebensmittel, die wir allgemein als nicht gesund bezeichnen würden, sollten vermieden werden. In einer Zeit, stärkerer Reize, die es uns schwerer macht zu verdauen, ist es besser einen Lebensstil und eine Ernährung zu pflegen, die diese Energieregulierung unterstützen. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht gelegentlich ein Glas Wein trinken oder gar keine Schokolade essen darf. Das können für manche Menschen auch Ressourcen oder kleine Trostpflaster sein, wenn sie sich alleine oder unsicher fühlen. Aber das alles natürlich in Maßen und in dem Wissen, dass es unser physiologisches System nicht wirklich unterstützt.

Gerade in Zeiten, in welchen unsere Anpassungsfähigkeit so stark gefordert ist, wo nichts mehr so ist wie vorher, und wir uns auf vielen verschiedenen Ebenen neu orientieren müssen, ist es wichtig, uns selbst aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln zu unterstützen. 

Alkohol, stark zuckerhaltige Lebensmittel, Lebensmittel, die wir allgemein als nicht gesund bezeichnen würden, sollten vermieden werden.

Medicom: Es geht um Anpassung im großen weiten Sinne, das heißt auch um eine Evolution, Weiterentwicklung für das gesamte Kollektiv?

Lyons: Ja, in dieser Reaktion auf Stressfaktoren oder Herausforderungen, die wir auch Anpassung nennen, verändern wir uns. Man kann nicht sagen, ob zum Besseren oder Schlechteren, aber es gibt definitiv, die Möglichkeit zu wachsen. 

Zum Beispiel gibt es auch das sogenannte posttraumatische Wachstum, das bedeutet, dass aus herausfordernden und dramatischen Erlebnissen das Potential und die Chance zu wachsen und unsere Resilienz zu erweitern entsteht. Auch die Möglichkeit bereits im Laufe des Heilungsprozesses einen Zweck und einen Sinn erkennen können. Was ist uns hier hilft, ist die Möglichkeit uns selbst in diesem Prozess zu beobachten. Es ist wichtig, bei uns selbst zu bleiben. Das ist schwierig in Zeiten, in welchen man mit Informationen überschwemmt wird. 

Es gibt das posttraumatische Wachstum, das bedeutet, das aus herausfordernden und dramatischen Erlebnissen das Potential und die Chance zu wachsen und unsere Resilienz zu erweitern entsteht.

Medicom: Um in diesen jetzigen anstrengenden Zeiten, das Potential des posttraumatischen Wachstums anzapfen zu können, ist es also wichtig sich aus den Medien etwas zurückzuziehen?

Lyons: Ich stelle oft die Frage: Was ist die minimale Menge an Information, die du benötigst, um dich sicher zu fühlen? Und dort ziehe dann den Strich. Ich habe mich zum Beispiel gestern informiert und weiß recht genau, wie es heute aussehen wird. Ich muss nicht noch einmal auf eine Website gehen und nachlesen. Das ist mein ganz persönlicher Zugang. Alles was darüber hinausgeht, ist einfach zu viel Holz ins Feuer gelegt, alles wird zu stark befeuert und die Hitze zu groß. 

Medicom: Vielen Dank für das Gespräch.

Anmerkung der Redaktion: Das Original-Interview wurde auf Englisch geführt.

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